Skip to main content

Member Reviews

"Die Inkommensurablen" von Raphaela Edelbauer beginnt vielversprechend mit der Geschichte von Hans Ranftler, der 1914 nach Wien kommt, um die Psychoanalytikerin Helene Cheresch aufzusuchen. Doch trotz der interessanten Ausgangsidee hat mich der Roman leider nicht überzeugen können. Die Mischung aus Parapsychologie, Mathematik und historischer Thematik ist zwar spannend, doch die Umsetzung oft zu komplex und schwer verständlich. Besonders die philosophischen und psychologischen Ausführungen haben mich eher verwirrt als gefesselt. Auch der Mittelteil des Buches zog sich für mich unnötig, und die Handlung verlor an Tempo. Die Charaktere blieben für mich flach, und ihre Entwicklung konnte ich nicht wirklich nachvollziehen. Obwohl das historische Setting gut eingefangen wird, fehlte mir eine tiefere emotionale Verbindung zur Geschichte. Der Schluss mit der Verkündigung der Mobilmachung war zwar gelungen, konnte aber das Gesamtbild nicht mehr retten. Insgesamt finde ich, dass der Roman mehr versprochen hat, als er halten konnte. Für mich leider eher enttäuschend

Was this review helpful?

Raphaela Edelbauer hat mich mit ihrem Science Fiction Roman DAVE begeistert und so wollte ich natürlich auch ihren nächsten Roman lesen. Das Thema klang zuerst richtig interessant, doch am Ende konnte mich der Roman einfach nicht abholen. Sprachlich ist er etwas anstrengend zu lesen, da die Sprache angepasst ist, auf die Zeit in der der Roman spielt. Dies finde ich an sich gut, wenn jedoch der Inhalt nicht überzeugen kann, ist die Sprache nur ein weiter Punkt, durch den ich mich quäle...

Was this review helpful?

Ein historischer Roman trifft immer dann ins Herz meiner Leseerwartung, wenn er, und das eben meistens jenseits der üblichen Genregrenzen, Geschichte in der Literatur erfahrbar und auf eine Weise begreifbar macht, die eine noch so genaue rein wissenschaftliche Beschreibung vielleicht nicht erreichen könnte. Raphaela Edelbauer ist mit ihrem Roman, der die bedrohlich flirrende Zeit kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in einer vielschichtigen Fiktion erfasst, genau das gelungen. Sie verleiht der Hingerissenheit und Zerrissenheit des Endes einer Epoche, ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit, eine literarische Gestalt, die Gesellschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte vereint und dabei auch noch so spannend erzählt ist, dass ich das Buch kaum beiseite legen konnte.

Es passiert auch wirklich eine ganze Menge in diesen gerade mal ein, zwei Tagen, an denen sich die Romanhandlung in großer Dichte und Schnelligkeit abspielt: Schlägereien, Rausch- und Traumerfahrungen, zahlreiche pointierte intellektuelle Dialoge, in denen von Traumdeutung, Psychoanalyse, Suggestion über Mathematik, Philosophie bis zur Diplomatie und zur Musik viele Ebenen des kulturellen, psychischen und politischen Lebens der Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert aufgerufen und zueinander in Beziehung gesetzt werden, und nicht zuletzt auch eine turbulente Freundschaft, so intensiv und emotionsgeladen, wie die kurze Zeitspanne, in der sie entsteht. Um das zentrale Dreigespann der handelnden Personen kurz vorzustellen: Klara, eine hochbegabte Mathematikdoktorandin aus ärmlichsten Verhältnissen, Hans, ein belesener Pferdeknecht aus Tirol, der einen Tag vor Ausbruch des Krieges vom Land in die Großstadt Wien gelangt und auf den beide, die Stadt und die Doktorandin, eine so faszinierende wie einschüchternde Wirkung haben, und schließlich der aus einem reichen und adligen Elternhaus stammende Adam, der gegen den Willen seiner Eltern ganz für seine Leidenschaft, die Musik, zu leben versucht, von dem jedoch erwartet wird, dass er, der Offizierstradition seiner Familie folgend, in den Krieg zieht, sobald dazu aufgerufen wird. Diese drei entwickeln, so verschiedener Herkunft sie auch sind, in der kurzen Zeit, die ihnen beschieden ist, ein besonderes, ein eigenwilliges Band der Freundschaft. Sie begegnen sich, und diese Kontingenz begründet den philosophischen Kern der alles andere als kontingenten Romankonstruktion, bei der Psychoanalytikerin Helene Cheresch, der vierten Hauptfigur, mit der alle drei eine wiederum eigene Geschichte verbindet.

Wenn man eine moralisch-ethische Brücke in die Gegenwart schlagen mag, so kann man aus der Durchführung dieser mathematischen Metapher durchaus eine Warnung ableiten, nämlich die vor der Halsstarrigkeit ins Absolute gewendeter Überzeugungen, die religiösen Ideologien gleich, keine anderen neben sich gelten lassen. Ein solches Fehlen von Meinungspluralität wird rasch zum Quell der Gewalt, die sich erst in der Kommunikation, sodann auch in physischer Auseinandersetzung ihren zerstörerischen Ausdruck verschafft.

Der Schluss gestaltet sich im Übrigen so zwangsläufig wie überraschend. Metaebene und Handlungsebene fallen in eins, erweisen sich als geschickt angelegte Versuchsanordnung und desillusionieren sowohl den Protagonisten Hans wie den Leser. Mit der Einschränkung jedoch, dass ein fiktionsironisches Fenster für den aufmerksamen Leser offengelassen wird, durch das er ins Übersinnliche blicken darf — das keinesfalls mit dem Übernatürlichen gleichzusetzen ist, wie man in einer der anregenden Diskussionen der Figuren zuvor erfahren hat.

Was this review helpful?

Nachdem ich bereits das Buch "Das flüssige Land" der jungen österreichischen Autorin mit Begeisterung gelesen habe und mich auf ihre sehr kühnen Sprachbilder und phantastisch-phantasievollen Konstruktionen eingelassen hatte, war ich sehr neugierig auf dieses neue Buch. Auch die im Roman verhandelte Zeit - der Sommer 1914 kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs - und die kontrastreichen Figuren - allen voran der junge Bauernbursche der in die damalige "Weltstadt" Wien kommt - schienen mir ziemlich vielversprechend und interessant.
Meines Erachtens ist der Roman "Die Inkomensurablen" allerdings am "zu Viel" der Autorin gescheitert: zu überbordend, zu überkonstruiert, zu überambitioniert. Ich bin mit der Geschichte und auch mit den verschiedenen Charakteren einfach nicht so richtig warm geworden; es blieb bei der Lektüre der Eindruck eines (sprachlich) opuleten Buches, dem es aber an Tiefe und psychologischer Stimmigkeit mangelt zurück.

Was this review helpful?

Raphaela Edelbauer fängt unglaublich gut die Atmosphäre jener einen Nacht vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein - eine Stadt im Taumel zwischen Begeisterung, Kampfbereitschaft, Drogen und ganz normalem Wahnsinn. Gefühlt ist man mittendrin im Wien des Sommers 1914. All die Menschen, die Hektik, das Gedränge, schreiende Zeitungshändler, die jede Stunde etwas Neues verkünden - all dies ist so beschrieben, dass vor meinem inneren Auge ein Schwarz-Weiß-Film abläuft. Und mittendrin Hans aus den Bergen von Tirol mit seinen neuen Wiener Freunden Adam und Klara.

Die Story ist gut, manchmal schräg und absurd, dann wieder erschreckend ernst. Zeitweise erzählte die Autorin zu ausführlich über Mathematik, Psychoanalyse und Philosophie. Da fehlte mir dann der Zauber der Fiktion. Geradezu schaurig fand ich die Szenen in den Katakomben unter der Stadt. Gern und mit Interesse gelesen, konnte ich doch keine wirkliche Begeisterung für den Roman empfinden.

Was this review helpful?

Raphaela Edelbauers Buch "Die Inkommensurablen" besticht durch unvergleichbar gestochen scharfe Sprache, Tiefgang und ein Repertoire an vielseitigen Charakteren. Zum Buch gegriffen habe ich, zugegebenermaßen, auch wegen der Namensvetterin Klara, obwohl wir uns nicht mehr unterscheiden könnten. Mit Zahlen habe ich es nicht so, die Buchstaben sind dann eher meins. Umso schöner, was dieses Wunderwerk der Literatur sprachlich für einen bereithält.

Einen Stern Abzug, weil ich, so sehr mich das Buch begeistert hat, mit dem Ende doch etwas unglücklich war. Wenngleich dies mein erstes Buch von der Autorin war, so wird es sicherlich nicht mein letztes sein. Mir gefällt der frische Wind und der etwas andere Ansatz, mit dem sie sich dem historischen Thema widmet. Gerne wieder! :)

Was this review helpful?

Der Anfang des Romans gefällt mir sehr gut, als der Pferdeknecht Hans aus dem ländlichen Tirol nach Wien kommt und nur staunen kann in dieser großen Stadt. Das erinnert mich inhaltlich an Seethalers "Trafikanten" und ist mitreißend beschrieben. Die historischen Begebenheiten und die Art, wie die Autorin sie erzählt, sind wirklich interessant und dabei stark dargestellt: Die Kriegsbegeisterung, in der jeder, der sich nicht fröhlich freiwillig meldet, scheel angesehen wird. Die Theorien der Militärs, die Stärken und Schwächen der Parteien auszuloten versuchen. Das Studentenleben mit seiner Ernsthaftigkeit und seinen Ausschweifungen. Der Kampf der Frauen um Anerkennung und Gleichberechtigung. Die Kleidung, die damals getragen wurde, von den verschiedenen Schichten. Die Armut der Mittelllosen und die Zustände, in denen sie hausen. Hans Beschreibungen des Landlebens, seiner Härten und Hierarchien. Seine Kindheit und Jugend und sein Drang zu lesen und zu lernen. Das Leben in Wien mit den Zeitungsjungen, den öffentlichen Waschhäusern und den Wohnungen des Adels. Schilderungen all dieser Dinge in diesem Buch begeistern mich.
Allerdings hat es auch Längen und theoretische Teile wie zum Schluss viele Seiten über Mathematik in der Verteidigung einer Doktorarbeit. Auch die Psychoanalyse wird genauer betrachtet und das Phänomen des gemeinsamen Träumens bleibt mir immer noch fremd, während detaillierte Erinnerungen an nicht selbst erlebte Dinge etwas mystisch daherkommen. Philosophische Theorien zu verschiedenen Themen kommen im Studentengespräch auf. Ein politischer Streit, der beim Proben eines Musikstückes aufkommt, füllt viele Seiten. Einige theoretische Teile scheinen mir zu schwierig, andere langweilig, was sicher zusammenhängt - vielleicht fehlt mir da geschichtliches, österreichisches oder philosophisches Wissen, um das wertschätzen zu können.
Außerdem schließt man die drei Hauptpersonen nicht unbedingt ins Herz.
Ein anspruchsvolles Buch, aus dem ich viel Lohnendes gezogen habe, und das gute, geduldige und neugierige LeserInnen braucht.

Was this review helpful?

Wow, was für ein Parforceritt. Oder doch eher ein Ritt auf der Rasierklinge? Wien, kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs. Und Raphaela Edelbauer führt den Leser kurzer Hand hinein in die brodelnde, erhitzte und von Nationalismus schier besoffene Stadt. Und mitten in diesem Taumel führen die Protagonisten immer wieder Diskurse über Esoterik, Naturwissenschaft und Mathematik.

Ein Buch, das unheimlich viel Zeitgeist transportiert. 10 Sterne von 5 -:).

Was this review helpful?

Hans, ein Pferdeknecht aus Tirol, hat sich auf den Weg nach Wien gemacht. Den Jungen beschäftigt eine bestimmte seiner Fähigkeiten und ein Werbeblatt der Psychoanalytikerin Helene Cheresch hat ihn den Beschluss fassen lassen, diese aufzusuchen. So stürzt Hans in sein Abenteuer, raus aus der Enge und Piefigkeit des Hofs, rein in das pulsierende Wien. Dort ist die Stimmung an diesem Abend seiner Ankunft noch spezieller als sonst, denn der Erste Weltkrieg steht unmittelbar bevor und die Menschen Kopf. Zumindest bekomme ich gemeinsam mit Hans diesen Eindruck, denn in den Bereichen, in die er von seinen neuen Bekannten Adam und Klara gezogen wird, geht es so ganz anders zu als von mir erwartet – zumal an dieser Schwelle der Historie.

Der Roman von Raphaela Edelbauer heißt nicht umsonst „Die Inkommensurablen“, der Name ist Programm. Einerseits ist dieses das Thema von Klaras Abschlussprüfung ihres Mathematikstudiums, andererseits passt die allgemeine Definition des Begriffs – nicht vergleichbar ; nicht zusammen messbar – auch auf die Zustände im Roman, denn irgendwie scheint hier nichts geschmeidig zusammenzufügen.

Der Erzählkosmos der Autorin ist stringent und schlüssig, dennoch hatte ich immer dieses Lesegefühl, der Roman sei trotz des historischen Realbezugs völlig aus der Welt gefallen. Diese protagonistische Konstruktion, bestehend aus dem geflohenen Pferdeknecht Hans, dem musisch begabten Adam mit seinen gelegentlichen seltsamen Anwandlungen, des Mathegenies Klara, die auf dem Pulverfass der Lust sitzt sowie der skurillen Psychotante Helene, bildeten für mich eine absurde Mischung, die für mich ganz und gar nicht zusammenpasst, wäre da nicht dieser surreale, teils sehr machtvolle Faden, der diese vier Personen miteinander verknüpft.
Ebenfalls wie aus der Realität gefallen wirkt das Tun dieser Hauptfiguren und der Kreise, in denen sie sich bewegen. Auch dies empfand ich titelstringent als „inkommensurabel“. An sich ist dies kein Kritikpunkt, denn wenn eine Geschichte gut erzählt wird, muss sie nicht einer Schablone gleich zur Wirklichkeit passen.

Der Beginn des Buches hat mich sehr begeistert. Hans Anreise nach Wien, sein Hineinfallen in eine ganz andere Welt, das Kennenlernen von Helene, Adam und Klara, das alles war sowohl packend wie auch leicht kryptisch geschildert. Nicht nur, was die Handlung betrifft, auch sprachlich konnte mich die Autorin hier und auch einen weiteres Stück in ihren Roman hinein begeistern. Leider verlaufen sich die Schilderungen im großen Mittelteil in Längen, oft auch in von mir empfundenen Belanglosigkeiten. In diesem Bereich lernen wir aber auch die Figuren, vor allem Adam und Klara, besser kennen und betrachten zudem den damaligen Stand der queeren Geschichte Wiens.
Der Schlussteil konnte mich wieder dann wieder so erreichen wie der Beginn des Romans – sowohl inhaltlich – es wird so mancher Wahrheit aufgeräumt – wie auch stilmäßig, es wurde wieder packender und sprachlich begeisternder.

„Die Inkommensurablen“ ist ein eigenwilliger Roman, den ich mit meiner geringen diesbezüglichen Fähigkeit und Ausbildung nicht fachgerecht zu interpretieren und einzuschätzen weiß. So beschränkt sich meine Buchvorstellung – wie sonst auch – auf das pure Lesen und der Wirkung des Romans auf mich. Möglicherweise sind mir dadurch einige wesentliche Bestandteile und Wichtigkeiten entgangen.

Wer skurille Personen im Roman mag sowie eine surreale Stimmung und sich inhaltlich gern überraschen lässt, der wird vermutlich weniger „inkommensurabel“ zu diesem Buch sein als ich. Mir gefielen Beginn und Ende gut, mit dem Mittelteil war ich ob der Längen und gefühlten Ziellosigkeit nicht ganz so glücklich. So bleibt „Das flüssige Land“ weiterhin mein Lieblingsroman von Raphaela Edelbauer.

Was this review helpful?

Zuerst hab dich gedacht, schon wieder ein Buch einer jungen Ö Autorin, der sonst nix einfällt, als irgendwas Historisches zu schreiben, das niemanden mehr interessiert. Dori (Bauers) Burgenländer in Chicago, Irene (Diwiaks) Scholl-Buch. Wo bleiben die kreativen Stimmen? Ich weiß, ich weiß, die werden oft nicht veröffentlicht.
Edelbauer also, nach Dave begeistert, daher dieses doch gelesen.

Und dann war's doch so anders als erwartet.
Es ist gut recherchiert und intelligent. Ich anerkenne, was sie macht - die Massenpsychose auf mehrere Ebenen, die kollektiven Träume, das wahnhaft Gesteigerte, Rauschhafte, und die Versuche zu rationalisieren. Diese eine letzte Nacht, bevor alles anders ist.

Das Problem ist: Es geht nicht auf. Statt Rausch zT Langweile, besonders ab ca der Mitte; statt Intelligenz Angeberei. Es will zu sehr zeigen, wie gut recherchiert und gscheit gemacht es ist.

Was mich doch beeindruckt hat, ist, wie gut es als Konzept aufgeht. Es ist durchschaubar iSv klar, worum es geht. Das macht das Buch zu einem Ganzen.

Was this review helpful?

An diesem Buch werden sich viele Geister scheiden. Generell denke ich, dass so wie diese Autorin schreibt, Leser*innen entweder total fasziniert oder vollkommen abgeschreckt werden.
Es ist nicht immer einfach, manchmal sogar unmöglich den intellektuellen Gedankengängen dieser Geschichte zu folgen. Und gibt es überhaupt eine Geschichte? In gewisser Weise ja, aber nicht auf die Art, dass sie der Grund ist, warum man dieses Buch gerne liest. Ich war fasziniert von der Sprache und den intellektuellen Fähigkeiten der Autorin, den wissenschaftlichen und philosophischen Einschüben und deren Auslegungsmöglichkeiten.
War ich teilweise überfordert? Wollte ich manchmal ein wenig mehr Eindeutigkeit, ein wenig mehr Story? Definitiv. Hat mich der Sog der Sprache und die Wucht einzelner Passagen und des Schreibstils dann trotzdem immer weiter gezogen. Definitiv.

Was this review helpful?

Ich habe es mit Freude gelesen! Toll, wie die Autorin die Zeit der Machtübernahme darstellt aus der Sicht der damals jungen Erwachsenen.

Was this review helpful?

Raphaela Edelbauer liebt genaue Datierungen. „In den frühen Morgenstunden des 21. September 2017 verschüttete ich 200ml Kaffee über meinem penetrant klingelnden Handy“ lässt sie „Das flüssige Land“ beginnen. Mit Auszügen aus dem damals noch unveröffentlichten Roman gewann sie 2018 den Publikumspreis (samt Stadtschreiberstipendium) beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, indem sie die Zuhörer spontan in ihren Bann zog.

In ihrem neuesten Roman springt sie über 100 Jahre zurück: „Es war sechs Uhr zweiunddreißig am 30. Juli 1914.“ Geschichtsaffine Leser werden bei diesem Datum sofort aufhorchen. Kaiser Franz Joseph hat – nach der Kriegserklärung von Österreich-Ungarn an Serbien - für den darauffolgenden Tag die „Allgemeine Mobilisierung“ angeordnet. Vielleicht nicht gerade die geeignetste Zeit für den Tiroler Bauernknecht Hans Ranftler, um von der entlegenen Provinz in Hauptstadt Wien zu reisen. Doch es drängt ihn mit aller Kraft, der Psychoanalytikerin Helene Cheresch seine außergewöhnlichen Wahrnehmungsphänomene darzulegen, weit von den sonst vorgetragenen, läppischen „Beleidungsneuroserl“ entfernt.

Raphaela Edelbauer schildert die brodelnde, aufgeregte, nervöse Atmosphäre mit immenser Wortgewalt und sinnestrunkener Wucht. Als Leser glauben wir, kopfüber hineinzustürzen in eine ohrenbetäubende Kakophonie von Tönen und Geräuschen, von dissonanter Musik und lärmenden Schreien, von expressionistisch aufgeladenen Bildern, Gerüchen, Eindrücken. Die Welt scheint geradezu aus den Angeln gehoben zu werden. Hier ist Raphaela Edelbauer, die Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst studiert hat, in ihrem Element wie kaum eine andere zeitgenössische Schriftstellerin. Sie lässt es brausen, lodern, wirbeln und sirren, dass einem förmlich schwindelt.

Bei Helene Cheresch lernt Hans das dekadente junge Pärchen Klara Nemec und Adam Graf Jesensky von Kezmarok kennen. Gemeinsam taumeln und torkeln sie durch verruchte Etablissements der Wiener Unterwelt, durch morbide Szenerien, die einem apokalyptischen Gemälde von Otto Dix oder George Grosz entsprungen sein könnten. Die Ahnung des nahenden Krieges lässt die letzten Hemmungen fallen, man liebt sich nicht nur andernorts „hastig und ungelenk, schlaflos und juliverschwitzt“. Allein eine auktoriale Allmachtsstimme orakelt: „Eine Million neunzehnjährige Witwen würden bald Europa bevölkern“.

Doch jenseits dieser schwindelerregenden, synkopischen Streifzüge durch die Nacht schwingen all die Themen mit, die im Wien dieser Zeit en vogue sind: die erst seit ein paar Jahrzehnten bestehende prächtige Ringstraßenarchitektur, die aufkommende Psychoanalyse, die Suffragettenbewegung, gleichgeschlechtliche Liebe. „Die Inkommensurablen“: Ein Buch das Geschichte schreibt!

Was this review helpful?

Wien im Juli 1914. Nur noch 36 Stunden bis das deutsche Ultimatum abläuft. Der Pferdeknecht Hans reist aus Tirol ins Zentrum der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, um die Psychoanalytikerin Helene Cheresch aufzusuchen. Dort trifft er auf die Mathematikerin Klara und den Musiker Adam. Mit diesem Dreier-Gespann bewegen wir uns durch Wien.

"Die Inkommensurablen" fängt sehr bildhaft an. Die Szenerie und die Lebensumstände, sowie der Unterschied zwischen dem Leben am Land und auf der Stadt werden gut dargestellt.

Schnell fangen die Protagonisten jedoch zum Politisieren an. Ein gewisses Maß ist für eine derartige Geschichte natürlich relevant. Jedoch wird hier das Ausmaß überschritten. Zudem erinnern die Gespräche an Stammtisch-Plaudereien. Eine sachlichere, erzählerische Form hätte ich bevorzugt.

Zu allem Überfluss kommen dann noch mit traumhaften Szenen weitere Dimensionen in das Buch, die verwirren und langatmig sind, anstatt Mehrwert zu liefern.

Immer weniger Lust hatte ich zu dem Buch zu greifen. Aufgrund des starken Anfangs habe ich mich dennoch ein paar Kapitel weitergequält. Die Hoffnung, dass es besser wird, wollte ich noch nicht aufgeben. Kurz vor der Hälfte dann die Entscheidung: Abbruch.

Was this review helpful?

Die österreichische Autorin Raphaela Edelbauer hat mit ihrem neuen Roman ein Meisterwerk abgeliefert!
Wien am Vorabend des Ersten Weltkriegs, eine flirrende Metropole, Vielvölkerstaat und in die Jahre gekommene Monarchie, neue Ideen und Aufbruchstimmung - vor dieser Kulisse treiben drei junge Leute durch die Nacht, immer in Erwartung, dass am nächsten Morgen der Krieg ausgerufen wird und die beiden Männer zu den Waffen gerufen werden. Wir begleiten sie auf ihren Abenteuern, lernen Wien in allen gesellschaftlichen Ebenen kennen und verstehen vielleicht etwas besser, woher diese Kriegsbegeisterung kam, die bei vielen vorherrschte.
Faszinierend geschrieben, vielschichtig, detail- und kenntnisreich erzählt - die Leseempfehlung für alle, die sich für historische Themen interessieren.

Was this review helpful?

Der Tiroler Hans "flüchtet" am Tag vor Ausbruch des ersten Weltkriegs nach Wien, wo er sich einer Analyse unterziehen möchte. Er trifft auf den adeligen Militär Adam und die angehende Mathematikerin Klara und verbringt mit ihnen abenteuerliche 24 Stunden....

Raphaela Edelbauer hat ein eindrückliches Panorama der Gesellschaft der Zeit geschaffen. Sie präsentiert unterschiedliche soziale Schichten und deren Perspektiven auf den drohenden Krieg. Gleichzeitig beschreibt sie die Massenpsychose der Kriegsbegeisterung; die alles erfassende Kraft einer Idee, die jeden einzelnen ergreift und aufsaugt, ob er will oder nicht. Klug und mitreißend!
Ich sehe das Buch als Kandidaten für den Österreichischen oder Deutschen Buchpreis.

Was this review helpful?

Philosophie, Mathematik, Dekadenz...Auch wenn ich mir sicher bin, dass ich nicht alles verstanden habe - ein hochinteressanter, spannender Einblick in die Zeit unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg in Wien. Und ein Schlaglicht auf den Versuch einiger Menschen, die Ereignisse dieser Zeit zu verstehen, diese zu überleben und dabei menschlich zu bleiben.

Was this review helpful?

Die Inkommensurablen ist eine toll komponierte Momentaufnahme der Stadt Wiens unmittelbar, einen Tag vor der Mobilmachung und der Kriegserklärung an Russland. Der Knecht Hans aus Tirol kommt ganz zufällig gerade an diesem besonderen Tag in die Stadt, um eine bekannte Frau, Helene, aufzusuchen, die etwas von Traumdeutung und Psychoanalyse versteht. Er hat ein Anliegen. Bis er aber zu ihr findet, taucht Hans die diese brodelnde Stadt ein, lernt die unterschiedlichsten Menschen kennen, anhand deren ganz klar, die verschiedenen Lebensverhältnisse in der Stadt "gezeigt werden". Alles wird stets aus der Sicht von Hans geschildert. Da macht dann auch die ungeheuer lebendige, stats leicht übertriebene aber sehr plastische und oft komischen Situationsschilderungen der Autorin Sinn. ETwas mühsam zu lesen sind die sehr ausführlichen Vorträge über z.B. Psychologie und Mathematik. So wird der Leser bzw. Hans Wort für Wort Zeuge des Rigorosums in Mathematik seiner Freundin Clara. Auch dies, die Emanzipation der Frauen, gehört zu dem was Wien an diesem Tag, in dieser Zeit ausmacht. Aus diesem mathematischen Thema heraus ist auch der etwas sperrige wie rätselhafte Buchtitel zu verstehen. Die Inkommensurablen sind das Thema von Claras Prüfungsvortrag. Das Wort kann aber auch in einer übertragenden Bedeutung mit dem ganzen vielschichtigen Leben in dieser Stadt zu dieser Zeit verstanden werden - deutet die Autorin immer wieder an.
Ich habe diesen Roan sehr gerne gelesen. An einigen Stellen vielleicht etwas schneller als an anderen. Aber insgesamt empfand ich Inhalt und Sprache als ein stimmiges Gesamtkunstwerk und einen Genuß.

Was this review helpful?

In ihrem dritten Roman „Die Inkommensurablen“ schildert Raphaela Edelbauer die Geschehnisse während 36 geschichtsträchtiger Stunden: Kurz bevor das deutsche Ultimatum ausläuft und der Erste Weltkrieg Fahrt aufnimmt, treffen in Wien drei junge Menschen aufeinander. Sie erleben eine Stadt, die sich im kollektiven Kriegstaumel befindet. Und nicht nur das: Vom Frauenwahlrecht und queerem Untergrund bis zu Massensuggestion und höherer Mathematik – in diesem historischen Roman sind viele Themen vereint. Ob diese Mischung gelungen ist? Wir fällen ein einstimmiges Urteil!

Was this review helpful?

Es wird ein atmosphärisches Bild Wiens, am Vorabend des Ersten Weltkrieges gezeichnet. Man begleitet einen jungen Mann, Hans, der die Stadt entdeckt. Es liest sich ein wenig wie ein Fiebertraum, was ist wahr, was nicht. Mir persönlich war es stellenweise zu mathematisch, da hat es sich ein wenig in die Länge gezogen.

Was this review helpful?