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Member Reviews

Ich lese gern Romane, die in dörflichen Regionen spielen, das Leben dort beschreiben, aber auch die Frage thematisieren, was mit den Menschen geschieht, denen ein solches Leben eng oder trist erscheint. Insofern habe ich mit diesem Buch richtig gelegen: Es schildert auf ruhige Weise das vorhersehbare und auch weitgehend durch ihre Familie vorherbestimmte Leben des Kindes, später der Frau Maria, die immer nur die Erwartungen anderer zu erfüllen hat und nie nach ihren eigenen Wünschen gefragt wird. Dabei ist ein anderes Leben als zwischen Hof und Wirtschaft für sie denkbar: Sieht sie doch ihre Freundin Theresa vor sich, die es auf ein Internat in der Stadt geschafft hat und sich zunehmend vom Dorf entfremdet, oder ihren titelgebenden Bruder Franz, den es ebenfalls nicht am elterlichen Hof hält, der sein Erbe ausbezahlt bekommt, sich aufmacht, die Welt zu entdecken - und fortan ward von ihm nichts mehr gesehen. Auch Maria lockt die Stadt, die Ferne, Bildung, Kultur. Doch Maria, um ihren Anteil am Erbe betrogen - sie ist ja nur ein Mädchen und wird eh am Hof gebraucht - , bleibt. Sie füllt die ihr zugewiesenen Rollen als fürsorgende Tochter und Schwiegertochter, fürsorgende Ehefrau und fürsorgende Mutter aus und erlebt nur in der letzten einige Jahre echten Glücks, bis das Kind flügge wird. Sie lässt es ziehen; ihr eigenes Leben soll sich an der Tochter nicht wiederholen. Aber soll es das nun für sie, Maria, gewesen sein?

Bis hierher bot der Roman wenige Überraschungen, aber genau das ist ja auch dem Thema geschuldet, war für mich also stimmig. Auf die an dieser Stelle nun vom Klappentext angekündigte neue Chance war ich sehr gespannt. In dieser Hinsicht hat der Roman mich jedoch enttäuscht. Die folgenden Wendungen erschienen mir unglaubwürdig und wenig schlüssig.

Dennoch bleibt am Ende der Gesamteindruck eines stillen Buches über ein stilles und gewöhnliches Leben, das anders verlaufen wäre, wenn die Herkunftsfamilie ihrer Tochter mehr Raum gegeben hätte oder wenn die Protagonistin stärker für ihre eigenen Rechte eingetreten wäre. Dieses Leben steht für Millionen von Frauenleben, die ausgefüllt, aber letztlich nicht erfüllt waren. Das löst bei mir Trauer und Mitgefühl aus - und den Wunsch, mich dafür einzusetzen, dass Mädchen in Regionen und Ländern, wo solche Rollenvorstellungen noch vorherrschen, eine Chance bekommen, etwas Anderes, Selbstbestimmtes aus ihrem Leben zu machen.

Insofern bietet der Roman nicht wirklich viel Neues. Er ist für den Debütpreis des Österreichischen Buchpreises nominiert und ich kann mir vorstellen, dass er in dörflich, katholisch und patriarchalisch geprägten Strukturen, wo auch heute noch viele ältere, vielleicht auch jüngere Frauen ein solches Leben wie Maria führten und führen, immer noch einen Nerv trifft.

Ich danke dem Verlag herzlich für das Rezensionsexemplar.

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„Ich bin kein hübsches, zartes Pflänzchen, das fürsorglicher Pflege bedarf. Eher der robuste Dornenbusch, der kaum Wasser braucht und selten Blüten trägt.“ (Zitat Pos. 319)

Inhalt
Maria ist das mittlere Kind zwischen dem fünf Jahre älteren Bruder Josef und dem vier Jahre jüngeren Bruder Franz. Josef erbt den Hof und die Grundstücke, der als Kind zarte, von der Mutter deshalb verwöhnte Franz erhält Geld und verlässt das Dorf, so bald er kann. Von Maria, die ja nur ein Mädchen ist, wird erwartet, dass sie den Erbverzicht unterschreibt, möglichst rasch einen Ehemann im Dorf findet und fleißig für alle arbeitet. Während ihre Freundin Theresa auf ein Internat gehen darf und dadurch für immer der beklemmenden Enge des Dorfes und der ebenso eng denkenden Dorfgemeinschaft entflieht, bleibt Maria und führt ein Leben als pflichtbewusst mitarbeitende Hilfskraft, Pflegerin, Ehefrau und Mutter einer Tochter. „Ich habe der Rolle entsprochen, die erwartet wurde. Weil ich nicht auffallen wollte, weil ich es nicht konnte?“ (Zitat Pos. 963)

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Erinnerungen an ein hartes Leben voller Entbehrungen und Verzicht auf dem Land, in einer Familiestruktur mit dem beklemmend traditionellen Frauenbild, um unerfüllte Träume eines Mädchens, später Frau, das Dorf zu verlassen und ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen.

Erzählform und Sprache
Maria, die Hauptfigur, erinnert sich im Heute an ihr Leben zurück. Sie erzählt von ihrer harten Kindheit in den 1960er Jahren, von fehlender Mutterliebe, von der unerfüllten Sehnsucht nach einer Ausbildung. Sie schildert ihren Alltag in einem engen, von den Männern dominierten Familiengefüge und starren Dorfleben. Chronologisch folgen wir ihrem Weg als Kind, als junge Frau, als Ehefrau und Mutter. Langsam enthüllen sich einige Familiengeheimnisse, es wird klar, warum der jüngere Bruder Franz das Dorf verlassen hat, denn in Marias Erinnerungen taucht er trotz seiner Abwesenheit immer wieder auf. Die knappe und dadurch eindringliche Erzählsprache verstärkt in ihrer Ausdrucksweise die Hauptfigur und das Genre.

Fazit
Landleben ohne falsche Romantik, Frauenleben in einer Welt der Väter, Brüder und Ehemänner, fern jeder Freiheit und Gleichstellung. Man möchte die Hauptfigur abwechselnd mitfühlend in Gedanken umarmen, dann wieder eindringlich auf sie einreden, sie metaphorisch anschreien, dass es nicht so sein muss, dass sie die Dinge ändern könnte, ihr Leben selbst in die Hand nehmen, so wie sie es sich in all den Jahren wünscht. Eine beklemmende, gleichzeitig beeindruckende Geschichte.

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